Soziale Umwelt und Sexuelle Selektion/ kulturelle Evolution

Das Beobachten von und das Interagieren mit Artgenossen (die soziale Umwelt) ermöglicht einem Individuum Lernvorgänge und einen Informationsgewinn über seine Umwelt. Dies gilt für viele verschiedene Funktionsbereiche wie Nahrungssuche und Feinderkennung und auch für die Partnerwahl. Die soziale Umwelt kann sowohl bei der Entwicklung von Partnerwahlpräferenzen (sexuelle Prägung) als auch unmittelbar bei der Partnerwahlentscheidung (Kopieren der Partnerwahl) eine wichtige Rolle spielen. Die Entwicklung neuer Partnerpräferenzen für evolutiv neue Sexualmerkmale kann durch soziales Lernen erklärt werden.

1. Funktion und Mechanismus des Kopierens bei der weiblichen Partnerwahl beim Breitflossenkärpfling Poecilia latipinna

Weibchen können entweder unabhängig von anderen Weibchen den Partner auswählen oder sie lassen sich bei der eigenen Partnerwahl durch die Wahl anderer Weibchen beeinflussen. Weibchen kopieren, indem sie eine sexuelle Interaktion zwischen einem Männchen und einem Weibchen beobachten und anschließend mit demselben Männchen kopulieren wie das beobachtete Weibchen zuvor. Um abschätzen zu können, welche Bedeutung das Kopieren bei der Partnerwahl für die sexuelle Selektion hat, ist es notwendig den Mechanismus und die Funktion des Kopierens zu kennen. Hierzu habe ich in Kooperation mit Professor Dr. M. J. Ryan, University of Texas, und mit Hilfe meiner Arbeitsgruppenmitglieder folgende Ergebnisse erzielt:

A. Fakultative Wahlstrategie:

Beim Breitflossenkärpfling ist das Kopieren eine fakultative Partnerwahlstrategie, die dann von den Weibchen angewendet wird, wenn die zur Wahl stehenden Männchen in Körpergröße und Färbung einander sehr ähnlich sind (Witte & Ryan, 1998).

B. Kopieren ist nicht zeitlich begrenzt:

Weibchen können eine beobachtete sexuelle Interaktion zwischen einem Weibchen und einem Männchen noch nach einem Tag erinnern. Das bedeutet,Weibchen können zu einem späteren Zeitpunkt die Wahl eines anderen Weibchens kopieren (Witte & Massmann, 2003).

C. Männchen und Weibchen kopieren auch im Freiland:

Sowohl Männchen als auch Weibchen kopieren die Partnerwahl im Freiland. Demnach ist das Kopieren kein Laborartefakt, sondern eine biologisch relevante Partnerwahlstrategie (Witte & Ryan 2002).

D. Weibchen kopieren auch die Ablehnung eines Männchens:

Weibchen kopieren nicht nur das Akzeptieren eines Partners, sondern auch die Ablehnung eines Partners (Witte & Ueding, 2003).

E. Die Informationsmenge beeinflusst das Kopierverhalten der Weibchen:

Erhalten die Weibchen mehr Informationen über ein Männchen durch die Beobachtung zweier Weibchen oder die längere Beobachtung eines Weibchens, kopieren Weibchen sogar die Wahl eines kleineren Männchens,obwohl sie eine genetisch bedingte Präferenz für größere Männchen haben. Weibchen zeigen diese gelernte Präferenz für kleinere Männchen sogar noch nach bis zu fünf Wochen (Witte & Noltemeier, 2002).

F. Kopieren und neue Männchenmerkmale:

Weibliche Breitflossenkärpflinge zeigen keine Präferenz für arteigene Männchen mit einer künstlichen Verlängerung der Schwanzflossenbasis,eine Imitation des Schwertes der Schwertträger. Das Kopieren kann jedoch die Durchsetzbarkeit dieses neuen Männchenmerkmals bei Breitflossenkärpflingen fördern und somit erste Voraussetzungen für Artbildung durch eine neue Partnerpräferenz schaffen (Witte 2006, im Druck).

 

Relevante Veröffentlichungen zu diesem Thema:

Witte, K., 2006. Learning and mate choice.pp 70-95, In: Fish Cognition and Behaviour, Ed. C. Brown, K. Laland & J. Krause, Blackwell Publishing

Witte, K. & Klink, K. 2005. No pre-existing bias in sailfin molly females (Poecilia latipinna) for a sword in males. Behaviour 142: 283-303.

Witte, K. & Massmann, R., 2003. Females remember males and copy the choice of others after one day in sailfin mollies (Poecilia latipinna). Animal Behaviour 65: 1151-1159.

Witte, K. & Noltemeier, B., 2002. The role of information in mate-choice copying in female sailfin mollies (Poecilia latipinna). Behavioral Ecology and Sociobiology 52:194-202.

Witte, K. & Ryan, M. J., 1998. Male body length influences mate-choice copying in the sailfin molly Poecilia latipinna. Behavioral Ecology 9: 534-539.

Witte, K. & Ryan, M. J., 2002. Mate copying in the sailfin molly, Poecilia latipinna, in the wild. Animal Behaviour 63: 943-949.

Witte, K. & Ueding, K., 2003. Sailfin molly females copy the rejection of a mate. Behavioral Ecology 14:389-395

2. Die Bedeutung der sexuellen Prägung für die Evolution neuer Schmuckmerkmale

Während einer frühen Entwicklungsphase lernen die Nachkommen bestimmte Merkmale der Eltern. Diesen Lernprozess nennt man sexuelle Prägung, wenn die gelernten elterlichen Merkmale die spätere Partnerwahl der Nachkommen beeinflussen.

Die sexuelle Prägung ist ein schon lange bekanntes Phänomen der Verhaltensforschung, ihre Rolle für die Evolution neuer Schmuckmerkmale ist jedoch noch unklar. In Prägungs- und Partnerwahlexperimenten untersuchen wir die Rolle der sexuellen Prägung für die Evolution neuer Schmuckmerkmale beim monomorphen Java-Bronzemännchen Lonchura leucogastroides und am dimorphen Zebrafinken Taeniopygia guttata castanotis. Der Artenvergleich lässt Aussagen über das Potential der Evolution für neue Schmuckmerkmale in Abhängigkeit von der Ausgangssituation (Monomorphismus oder Dimorphismus) zu.
Als evolutiv neue Merkmale wurden verschiedene, farbige Scheitelfedern beim Java-Bronzemännchen und beim Zebrafinken eingeführt. In vier verschiedenen Prägungsgruppen wurden die Eltern unterschiedlich geschmückt und sie zogen ihre eigenen Jungen isoliert auf.

Ab ihrem 60.Tag wurden die Nachkommen derselben Prägungsgruppe in Jugendgruppen mit jeweils einem erwachsenen Modellpärchen, das wie die genetischen Eltern geschmückt war, zusammengehalten. Nach Erreichen der Geschlechtsreife haben wir die Söhne und Töchter auf ihre Partnerpräferenzen in Zweifachwahlen in Käfigen getestet. Sie konnten jeweils zwischen einem geschmückten und ungeschmückten gegengeschlechtlichen Artgenossen wählen.

Java-Bronzemännchen:

A. Sowohl Söhne als auch Töchter wurden auf die rote Scheitelfeder sexuell geprägt (Witte u. a. 2000).

B. Töchter, die auf die rote Scheitelfeder sexuell geprägt waren, transferierten die gelernte Präferenz für die rote Feder auf Männchen mit einem anderen neuen roten Merkmal, rote Schwanzstreifen (Plenge u. a. 2000).

C. Weder Söhne noch Töchter ließen sich auf einen roten Schnabel der Eltern sexuell prägen (Hörster u. a. 2000).

 

Zebrafink:

A. Nur die Töchter wurden auf eine rote Scheitelfeder sexuell geprägt (Witte und Sawka, 2003).

B. Diese Weibchen transferierten nicht die gelernte Präferenz auf Männchen mit einer blauen, orangefarbenen oder einer gelben Scheitelfeder.

C. Diese Weibchen zeigten auch drei Monate später noch eine stärkere Präferenz für Männchen mit roter Scheitelfeder als Weibchen ungeschmückter Eltern.

Wiederholung des Prägungsversuches mit einer blauen Scheitelfeder:

D. Nur die Töchter ließen sich auf die blaue Scheitelfeder sexuell prägen.

E. Die Weibchen übertrugen diese gelernte Präferenz für die blaue Scheitelfeder nicht auf ein anderes neues Schmuckmerkmal der Männchen, blaue Ringe.

F. Männchen konnte ihre Attraktivität für Weibchen durch eine doppelte Ornamentierung (blaue Feder und blaue Ringe) nicht steigern.

Fazit: Durch die sexuelle Prägung kann eine monomorphe Art zu einer ornamentierten monomorphen Art evolvieren. Bei einer dimorphen Art verstärkt die sexuelle Prägung nur im weiblichen Geschlecht den Dimorphismus.

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