Im Rahmen des E+E-Vorhabens „Wisente im Rothaargebirge“ untersuchte Philip Schmitz (Doktorand in dem Projekt) ökologische und verhaltensbiologische Aspekte einer Herde von Wisenten (Bison bonasus). Die Tiere werden in einem 88 ha messenden Gehege in Bad Berleburg auf ihre Freisetzung vorbereitet. Das Projekt, gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dem Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen und durch das Bundesamt für Naturschutz, wird intensiv wissenschaftlich begleitet. Im Dezember 2012 wurde nach Abschluss der ersten Förderphase die Freisetzung der Tiere genehmigt. In einer zweiten Förderphase soll der Prozess der Freisetzung verfolgt werden. Bisher wurden und werden eine Vielzahl an Arbeiten durchgeführt. Bisherige Arbeiten sind:
Raum-Zeitverhalten
Durch telemetrische Messungen und direkte Beobachtungen der Tiere wurden für mehrere Jahre Bewegungsmuster erstellt und ausgewertet. Es zeigte sich, dass die Tiere ein strikt saisonal geprägtes Verhalten zeigen. Während sie sich während der Vegetationsperiode beinahe komplett aus dem Gebiet ernähren, nutzen sie in der Nicht-Vegetationsperiode beinahe ausschließlich die Fütterung. Bei ihrer Raumnutzung bevorzugen die Tiere gras- und krautreiche Wiesenbereiche, Schlagfluren, sowie lichte Fichtenbestände. Ein mathematisches Modell zur Vorhersage präferierter Standorte wurde berechnet.
Nahrungsökologie
Die Tiere besetzen als große Gras- und Raufutterfresser eine ökologische Nische, die seit Jahrhunderten in Deutschland frei geblieben ist. In erster Linie ernähren sich die Tiere von großen Mengen Kräutern und Gras, wobei sie über hundert verschiedene Arten als Nahrung annehmen. Darüber hinaus benötigen sie jedoch einen gewissen Anteil an holzigen Pflanzen und zeigen Ansätze der Ligninverdauung. Diese holzigen Bestandteile sind offenbar wichtig für ihren Verdauungsprozess und ihr Wohlbefinden. Dabei bevorzugen freilebende Herden in Polen jungen Aufwuchs von Weichhölzern, in den Wirtschaftswäldern des Kreises Siegen-Wittgenstein finden sie diese Ressource jedoch nicht vor und weichen daher vornehmlich auf Buchenbestände aus. Eine Analyse der Uni Göttingen ergab jedoch, dass forstliche Schäden wirtschaftlich zu vernachlässigen sind.
Zeitbudget
Das Zeitbudget der Tiere wurde bei monatlichen 24-Stunden-Beobachtungen erfasst. Tagsüber wurden die Tiere mit einem Fernglas, nachts mit Hilfe eines Nachtsichtgerätes beobachtet.Der Tagesablauf der Tiere ist geprägt von abwechselnden Fress- und Verdauungsphasen, bedingt durch die Pansentätigkeit. Während der Morgendämmerung zeigen die Tiere eine prägnante Fressphase, an die eine ebenfalls prägnante längere Ruhephase angeschlossen wird. Daraufhin wechseln sich solche Phasen unterschiedlicher Länge im Tagesverlauf ab, bis sich eine weitere dominante Fressphase anschließt, die sich bis in die Abenddämmerung hineinzieht. Die Nacht verbringen die Tiere mit ausgedehnten Ruhephasen, nehmen jedoch auch hier zwischendurch Nahrung auf.Durch Winterfütterungen wird das natürliche Verhalten der Tiere offenbar beeinflusst. Die Verhaltenssynchronisation der Tiere nimmt ab und der Tageszyklus folgt nicht mehr dem zuvor beschriebenen Muster.
Reaktion auf menschliche Präsenz
Ein wichtiger Aspekt vor einer Freisetzung war das Verhalten der Tiere auf ihnen unbekannte Menschen. Die Tiere stammen alle aus menschlicher Obhut und waren daher den Kontakt zu Menschen gewohnt. Sie zeigten keine wildtiertypische Scheu. Daher wurden in regelmäßigen Abständen Messungen der Fluchtdistanz durchgeführt. Freiwillige Feldassistenten simulierten dabei eine Wanderergruppe, die sich auf die Tiere zu bewegte. Reaktionen der Tiere, die zeitliche Latenz und räumliche Distanz wurden von mir im Videoprotokoll dokumentiert.Die Tiere zeigten an der Winterfütterung wenig Fluchtverhalten. Ein ähnliches Verhalten findet sich auch bei anderen Wildtieren in Futterstellen. Während der Vegetationszeit jedoch zogen sich die Tiere von den Menschen zurück. Eine bedrohliche Situation konnte nie beobachtet werden.
Test verschiedener Zaunsysteme
Aus Managementgründen kann es notwendig sein, die Tiere in bestimmten Gebieten ein- oder auszuzäunen. Drei solcher Zaunsysteme wurden im Langzeitversuch getestet. Wisente können sehr gut springen und überwinden auch mannshohe Hindernisse. Daher wurde eine Fläche des Gebiets durch einen Elektrozaun ausgegrenzt. Reaktionen aller vorkommenden Wildtiere wurden durch ein Fotofallen-Monitoring erfasst und bewertet. Es zeigte sich, dass ein dreilitziger Elektrozaun geeignet ist, Wisente aus einer Fläche auszugrenzen. Dabei ist jedoch strikt die notwendige Höhe einzuhalten und auch kleine Unebenheiten des Bodens sind zu vermeiden. Andere vorkommende Wildtiere wechselten nach wie vor unter dem Zaun hindurch. Für diese Arten stellt ein solches System also keine echte Barriere dar.
Soziale Strukturen innerhalb der Herde
Rinder haben ein ausgeprägtes Sozialgefüge mit meist linearer Dominanzhierarchie. Dieses System zu kennen ist wichtig für die Haltung von Rindern, denn eine Veränderung der Herde kann drastische Folgen für die verbleibenden Netzwerkstrukturen haben. Durch Nachbarschaftsanalysen der Tiere wurden kontinuierlich Netzwerkstrukturen beobachtet. So konnten Bindungen und Vermeidungen zwischen einzelnen Tieren nachgewiesen und Leittiere identifiziert werden.
Untersuchung von Stresshormonen
Eine Kooperation mit der Universität Bochum (Prof. Kirchner) ermöglichte das Messen von Stresshormonderivaten aus dem Kot der Tiere. Die Untersuchungen laufen derzeit noch, jedoch kann bereits gesagt werden, dass sich die Methode (ELISA) bei Wisenten anwenden lässt. Die Tiere besitzen ein Grundniveau von Cortisolmetaboliten, das gewissen Schwankungen unterworfen ist. Abweichungen hiervon gehen einher mit Witterungsbedingungen und äußeren Störungen, mit dem Alter und dem sozialen Status der Tiere.